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      Schizophrenie: Moderne Therapie kann Gewalt und Suizid verhindern  
       
 
 
 

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Wien, 2. Okt. 2019 - Für Menschen, die an Schizophrenie leiden, verschwimmen Realität und Fiktion. Alltägliches wird als Verschwörung und Bedrohung empfunden. Wahnideen, Verfolgungsängste, Halluzinationen, Angst und Stimmen, die unablässig auf sie einreden, und der tägliche Kampf dagegen bestimmen das Leben der Betroffenen. Das Ich attackiert sich quasi selbst. Und dies kann lebensbedrohliche Ausmaße annehmen und zum Suizid führen. 5 bis 12% der an Schizophrenie Erkrankten suizidieren sich; die Rate der Suizidversuche wird auf zwei- bis fünfmal so hoch geschätzt.

Das Thema Schizophrenie und Gewalt hat aber viele Aspekte: Gewalt gegen sich selbst in Form von Suizid oder exzessivem selbstschädigendem Lebensstil; Gewalt gegen andere, verursacht durch Wahnvorstellungen.

Wie „fühlt“ sich Schizophrenie für die Betroffenen an? Was bedeutet diese Erkrankung für ihr Leben? Welche Rolle spielen die Themen Suizid und Gewalt? Und das Wichtigste: Wäre all dies zu verhindern? Fragen, die im Rahmen eines Lundbeck Presseforums Psychiatrie mit dem Titel „Schizophrenie, Gewalt und Suizid – Wege zur Prävention“ am 1. Oktober in Wien anlässlich des internationalen Tages der seelischen Gesundheit (10. Oktober) von Experten* diskutiert wurden.

Schizophrenie ist ein komplexes Krankheitsgeschehen

Dr. Jens Mersch, Psychiater
Dr. Jens Mersch, Psychiater

Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO leidet weltweit – und auch in Österreich – rund 1% der Menschen an Schizophrenie. „Schizophrenie ist eine schwere psychische Erkrankung, die zumeist im Adoleszenz- oder jungen Erwachsenenalter ausbricht, vielfältige Erscheinungsbilder hat, in Schüben verläuft, häufig einen chronischen Verlauf nimmt und in allen Kulturkreisen der Welt vorkommt. Grob zusammengefasst kommt es bei Schizophrenie zu Veränderungen im Denken, der Wahrnehmung, der Ich-Funktionen, der Affektivität sowie des Antriebs und der Psychomotorik“, erläuterte der Psychiater Dr. Jens Mersch.

Wie „fühlt“ sich Schizophrenie an?

„Patienten mit Schizophrenie erleben im Rahmen der Psychose eine umfassende Veränderung der sie umgebenden Realität. Die Wahrnehmung der Außenwelt ist verändert, die Sinne täuschen sie. Sie hören Stimmen, Farben und Gerüche können verändert wahrgenommen werden. Alltägliche Vorgänge erhalten eine tiefere Bedeutung, Zusammenhänge mit der eigenen Person werden vermutet oder wahnhaft interpretiert. Aber auch die Wahrnehmung der eigenen Person ist verändert, die eigenen Gedanken werden als fremd erlebt, die Logik setzt aus“, führte Jens Mersch aus.

Reizüberflutung, Wahnideen, Verfolgungsängste, Halluzinationen, Stimmen, die unablässig auf sie einreden, sie beschimpfen, sich über sie unterhalten, ihnen Dinge befehlen – dies führt zu Einsamkeit, Verwirrung, Angst. Und im schlimmsten Fall zum Suizid, als radikaler Befreiungsversuch, um den quälenden psychotischen Erlebnissen ein Ende zu setzen, oder aus Selbsthass aufgrund der verlorenen Fähigkeit, das Leben zu meistern.

5 bis 12 % der Schizophrenie Erkrankten begehen Suizid

„Neben dem bilanzierten Suizid, der aufgrund der scheinbaren Ausweglosigkeit aus der Krankheit oder aufgrund der Lebensumstände oder der aktuellen Situation begangen wird, kommt es immer wieder zum Suizid als ‚Unfall der Psychose‘. Denn die während einer psychotischen Phase veränderte Realität kann zu einer veränderten Risikoeinschätzung führen: Das heißt, die Stimmen befehlen den Suizid, man glaubt fliegen zu können oder ähnliches“, so Mersch.

Suizidalität und psychische Erkrankungen

Assoc. Prof. Dr. Nestor Kapusta, Leiter der Suicide Research Group der MedUni Wien
Assoc. Prof. Dr. Nestor Kapusta, Leiter der Suicide Research Group der MedUni Wien

70 bis 90% aller Suizide sind Folge einer psychischen Erkrankung – Schizophrenie-Patienten sind besonders gefährdet. „5 bis 12% der an Schizophrenie Erkrankten versterben durch Suizid; die Rate der Suizidversuche wird auf zwei- bis fünfmal so hoch geschätzt. Junge Patienten mit Schizophrenie sind überproportional stärker von Suizidalität betroffen“, so Assoc. Prof. Dr. Nestor Kapusta, Leiter der Suicide Research Group der MedUni Wien.

Diese schwere psychische Erkrankung stellt eine enorme Belastung für die Betroffenen, aber auch für ihre Angehörigen dar. Kapusta: „Am Beispiel der Schizophrenie wird auch die hohe Belastung der Angehörigen deutlich. Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen entwickeln nicht selten selbst affektive Störungen und Burnout bis hin zu Suizidgedanken oder identifikatorischen Krisen mit Nachahmungssuiziden. Suizidalität ist somit ein komplexes Phänomen, das nicht nur Betroffene, sondern auch die Umgebung zu Mitbetroffenen machen kann.“

Schizophrenie und Gewalt

Die meisten Menschen haben Angst vor psychisch kranken Menschen. Das ist auch verständlich, denn der Mensch hat Angst vor dem Unvorhersehbaren, und Schizophrenie-Kranke verhalten sich oft unvorhersehbar. Diese Angst vor ihnen kann wiederum ihre Unsicherheit und ihre Wahnvorstellungen befeuern. Nach dem Motto: „Die haben etwas gegen mich, die verschwören sich gegen mich.“ Und es kommt auch immer wieder zu Gewalttaten, die von an Schizophrenie erkrankten Personen begangen werden. Aber das Thema Schizophrenie und Gewalt hat viele Aspekte.

Gefährliche Impulsgeber

Tatsache ist, dass z.B. Wahnvorstellungen und halluzinierte, imperative, also befehlsgebende Stimmen, gefährliche Impulsgeber sein und zu erhöhter Gewaltbereitschaft – sich selbst und anderen gegenüber – führen können. Sind aber Menschen, die an Schizophrenie erkrankt sind, per se gewalttätig und gefährlich?

Prim.a Dr.in Heidi Kastner, Leiterin der Klinik für Psychiatrie mit forensischem Schwerpunkt, Kepler Universitätsklinikum Linz
Prim.a Dr.in Heidi Kastner, Leiterin der Klinik für Psychiatrie mit forensischem Schwerpunkt, Kepler Universitätsklinikum Linz

Prim.a Dr.in Heidi Kastner, Leiterin der Klinik für Psychiatrie mit forensischem Schwerpunkt, Kepler Universitätsklinikum Linz: „Dass ein Zusammenhang zwischen Schizophrenie und Gefährlichkeit besteht, ist zumindest in der öffentlichen Meinung eine Tatsache, die immer wieder durch Meldungen über schwere Gewalttaten, begangen von an Schizophrenie Erkrankten, Bestätigung findet.“ Dem aber widerspräche die bis heute umfassendste epidemiologische Studie über die Gewalttätigkeit psychisch Kranker (Böker, Häfner 1973). In dieser wurde nämlich ein gesamthaft nicht erhöhtes Gewaltrisiko von Psychiatriepatienten festgestellt. Kastner: „Freilich ist diese Schlussfolgerung unvollständig: Schon Böker & Häfner stellten fest, dass, im Untersuchungszeitraum von Jänner 1955 bis Dezember 1964 in Deutschland 3% der Täter bei schweren Gewalttaten und Tötungsdelikten an Schizophrenie erkrankte Menschen waren. Als Risiko für Gewaltdelinquenz erwiesen sich damals allerdings nicht unmittelbar erkrankungsbedingte Faktoren wie ein schon vor Erkrankungsausbruch beobachtbares antisoziales Verhalten oder chronischer Substanzmissbrauch.“

Gute Prognose durch medikamentöse und sozialtherapeutische Behandlung

In weiteren Untersuchungen zeigte sich, dass sogenannte „late starters“, die vor Erkrankungsausbruch und Delinquenz ein weitgehend unauffälliges Leben geführt hatten, eine deutlich bessere Prognose hatten als die sogenannten „early starters“, die schon vor Erkrankungsausbruch gewalttätig gewesen waren. Wenn es gelingt, bei „late starters“ eine ausreichende medikamentöse und sozialtherapeutische Behandlung zu etablieren, sinke das Risiko eine Gewalttat zu begehen, wieder auf das Niveau des Durchschnittsbürgers.

Um künftige Gewalttaten zu verhindern, sei es jedoch wichtig, Risiken ernst zu nehmen und eine geeignete Behandlung zu forcieren. Kastner: „Eine andere durchaus effiziente und immer noch nicht ausreichend genutzte Behandlungsstrategie beruht auf der Empfehlung zur Depotbehandlung, die sich sowohl pharmakodynamisch als auch bzgl. Langzeitverlauf der Erkrankung in unzähligen Studien als die bestmögliche Behandlungsform erwiesen hat.“

Moderne Schizophreniebehandlung – die beste Prävention

Prof. Dr. Christoph U. Correll, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Charité – Universitätsmedizin Berlin
Prof. Dr. Christoph U. Correll, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Charité – Universitätsmedizin Berlin

„Schizophrenie ist heute zumeist gut behandelbar, wenn auch noch allzu häufig nicht heilbar“, erläuterte Prof. Dr. Christoph U. Correll, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Die Therapie setze sich im Idealfall aus einer individuell abgestimmten Kombination von medikamentöser Behandlung, Psychotherapie und anderen therapeutischen Verfahren wie Ergotherapie, Soziotherapie etc. zusammen. Als Medikamente kommen Antipsychotika zum Einsatz, die die Botenstoffe in bestimmten Gehirnregionen dahingehend beeinflussen, dass vor allem die psychotischen Positiv-Symptome (z.B. Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Zerfahrenheit der Gedanken) gehemmt werden.

Therapiebeginn – je schneller, desto besser

„Der Therapieerfolg ist maßgeblich von der Dauer der unbehandelten Psychose abhängig. Je schneller nach Auftreten der ersten psychotischen Phase mit einer geeigneten Therapie begonnen wird, desto besser wirkt sich dies auf den weiteren Verlauf aus.“ Und es gelte, Rückfälle in psychotische Phasen unbedingt zu verhindern – denn das Gehirn lerne nicht nur Schi zu fahren, sondern es ‚lerne‘ auch Psychosen: Je mehr Rückfälle der Patient erleide, desto schneller entwickle er eine weitere psychotische Episode und desto schwerer komme er wieder daraus heraus. „Rückfälle verschlechtern auch das Ansprechen auf die medikamentöse Therapie enorm. Es steigt auch das Risiko für eine sekundären Therapieresistenz als auch für eine Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten. Dadurch verschlechtern sich auch Funktionalität und Lebensqualität. Und all dies bedeutet mehr Leiden für die Patienten und deren Familien. Die stärkste ‚Nebenwirkung‘ aber ist der Tod. Denn mit der Anzahl der Rezidive steigt auch die Wahrscheinlichkeit von Suizidversuchen. Das ist durch mehrere Studien belegt.1,2,3,4

Rückfallprophylaxe für Suizidprävention von essentieller Bedeutung

Der beste Weg, um Rückfälle zu vermeiden, ist eine kontinuierliche Langzeittherapie; dies belegen diverse Daten.5,6  Ähnlich verhält es sich mit der Mortalität (Sterblichkeit): Eine finnische Datenbankstudie7 aus über 20 Jahren zeige, laut Correll, genauso wie eine an rund 30.000 Patienten durchgeführte schwedische Datenbankstudie8 , dass sich eine kontinuierliche Langzeittherapie positiv auf die Mortalität auswirkt. Doch leider ist die Therapietreue bei Schizophrenie-Patienten oft unzureichend.

Depot-Formulierungen – Mittel der Wahl

Dies sei jedoch mithilfe von Depot-Formulierungen gut in Griff zu bekommen. Studien belegen, so Correll, dass „die geringste Gesamtmortalität jene Patienten hatten, die Antipsychotika der zweiten Generation als Depot-Formulierung erhielten. Es zeigte sich im Vergleich zur oralen Gabe derselben Wirkstoffe eine um 33% geringere Mortalität9 .“ Für Correll steht auf Grund der Datenlage fest: Depot-Präparate, die z.B. monatlich injiziert werden, sind das Mittel der Wahl, da sie zahlreiche Vorteile bieten, die eine langfristige Therapieadhärenz und somit die bestmöglichen Outcomes in der Langzeit-Behandlung der Schizophrenie ermöglichen.

Abschließend fasste Correll zusammen: „Wir haben Daten über Daten, dass Depot-Präparate in der Schizophrenie-Therapie die Symptomatik der Erkrankung und das Rückfallrisiko sowie die Mortalität verringern, das Funktionsniveau verbessern und die Unabhängigkeit der Patienten bei der Bewältigung ihres Alltags erhöhen sowie ihre Lebensqualität steigern können. Und: Wenn Patienten langfristig gut eingestellt sind, wirkt sich das natürlich auch positiv auf das Thema Gewalt aus – sei es Gewalt gegen sich selbst in Form eines ungesunden Lebensstils oder gar eines Suizids oder, aufgrund von Wahnvorstellungen, eventuell Gewalt, die sich gegen andere richtet, auch wenn die meiste Gewalt in der Gesellschaft ja nicht von psychotischen Patienten ausgeht.“

1 Correll et al.,World Psychiatry 2018; 17(2):149-160. doi:10.1002/wps.20516;

2 Herings et Erkens, Pharmacoepidemiol Drug Saf 2003; doi:10.1002/pds.837;

3 Andreasen et al. Am J Psychiatry 2013; doi:10.1176/appi.ajp.2013.12050674;

4 Kane, J Clin Psychiatry 2007; 68(Suppl 14): 27–30;

5 Sampson S et al. Cochrane Database Syst Rev 2013; doi:10.1002/14651858.CD006196.pub2;

6 DiBonaventura et al., BMC Psychiatry 2012; doi:10.1186/1471-244X-12-20;

7 Tiihonen J. et al. Am J Psychiatry 2018; doi:10.1176/appi.ajp.2018.17091001;

8 Taipale et al., Schizophrenia Research 2018; doi.org/10.1016/j.schres.2017.12.010#

9 Tiihonen et al., JAMA Psychiatry 2017; doi:10.1001/jamapsychiatry.2017.1322;

* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text auf eine gendergerechte Schreibweise verzichtet. Alle Bezeichnungen sowohl für Frauen als auch für Männer.

Texte und Fotos zur Veranstaltung zum Download:

Presseaussendung - Schizophrenie Gewalt und Suizid
Summary Prof. Dr. Christoph Correll
Summary Prim. Dr. Heidi Kastner
Summary Prof. Priv. Doz. Nestor Kapusta
Summary Dr. Jens Mersch

CV Prof. Dr. med. Christoph U Correll
CV Prim. Dr. Adelheid Kastner
CV Dr. Jens Mersch

Alle Texte und 5 Fotos als Zip-File

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