24. November 2008
Am 1. Dezember 2008 wird zum 21. Mal der Internationale Welt-AIDS-Tag begangen. Aus diesem Anlass präsentieren die AIDS-Hilfen Österreichs einen Bericht über die Diskriminierung von Menschen mit HIV/AIDS. Etwa 12.000 bis 15.000 Menschen leben in Österreich mit dem tödlichen Immunschwächevirus. Die meisten von ihnen hüten diese Tatsache als Geheimnis, aus Angst vor Ausgrenzung, Stigmatisierung und Benachteiligung. Angst, die leider zu Recht besteht – dies belegt der Diskriminierungsbericht der AIDS-Hilfen Österreichs.
HIV-Neudiagnosen in Österreich
In den ersten drei Quartalen des Jahres 2008 wurde bei 373 Personen in Österreich eine Infektion mit HIV neu diagnostiziert. „Das sind um zwölf neue HIV-Diagnosen weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres", erklärt Dennis Beck, Obmann der Aids Hilfe Wien, und betont: „Ein Sinken der HIV-Neudiagnosen bundesweit um etwas mehr als 3% kann und darf allerdings kein Grund dafür sein, in den Präventionsbemühungen nachzulassen. Dies vor allem auch im Hinblick darauf, dass wir 2007 sehr viele neudiagnostizierte Fälle verzeichnen mussten."
Zu jenen Bundesländern, in denen die Zahl der diagnostizierten Neuinfektionen weiter leicht steigt, gehört unter anderem Wien, wo 2008 um 15 HIV-Diagnosen mehr erfasst wurden als 2007 (verglichen werden jeweils die Monate Jänner bis September). Hochgerechnet auf das ganze Jahr sind 2008 in der Bundeshauptstadt ca. 277 (2007: 266) und österreichweit ca. 497 (2007: 515) diagnostizierte HIV-Neuinfektionen zu erwarten. Beck: „Damit läge die Zahl für Österreich zwar wieder unter 500, aber dennoch um einiges höher als in den Jahren 1994 bis 2006."
Angst vor "sozialem AIDS"
Der häufigste Übertragungsweg von HIV ist ungeschützter Geschlechtsverkehr. Bei alltäglichen sozialen Kontakten besteht kein Risiko, sich zu infizieren. „Dennoch werden Menschen mit HIV/AIDS im privaten Umgang und im öffentlichen Leben diskriminiert", betont Dennis Beck und erläutert die Folgen: „Die meisten sprechen aus Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung – aus Angst vor "sozialem AIDS" - nur mit wenigen Vertrauenspersonen über ihre HIV-Infektion." Dr.in Christine Roiter, Soziologin und Autorin aus Oberösterreich, selbst seit fast 25 Jahren HIV-positiv, bestätigt: „Ich konnte mich lange Zeit nur einem kleinen Personenkreis anvertrauen. Wenn ich den Schritt wagte, merkte ich, dass nicht alle mit dieser Tatsache umgehen können. Die Diskriminierung spielt sich nicht offen, sondern eher im versteckten Bereich ab. Man spürt, dass andere über einen reden, aber es wagt niemand, sich offen zu äußern."
Häufig sind es nicht die Betroffenen selbst, die das Schweigen brechen, sondern Ämter oder Personen im medizinisch-pflegerischen Bereich, in der Schule oder am Arbeitsplatz etc., obwohl der HIV-Status dem Datenschutz1 unterliegt und ohne Einwilligung der betroffenen Person keinesfalls öffentlich zugänglich gemacht werden darf. Elke Schlitz, Geschäftsführerin der Aids Hilfe Wien: „Dass dieser Bestimmung häufig zuwidergehandelt wird, kann für die Betroffenen dramatische Folgen haben." Roiter: „Nicht nur muss man zu Beginn der Infektion mit eigenen Ängsten um die Gesundheit, ja um das Leben selbst, umgehen lernen, darüber hinaus ist man auch noch Vorurteilen und Diskriminierungen ausgesetzt, die Auswirkungen auf das seelische und das soziale Wohlergehen haben, manchmal sogar auf das gesundheitliche."
HIV-positiv oder AIDS-krank
HIV/AIDS ist eine "bedingt meldepflichtige Erkrankung". Das heißt, die HIV-Infektion ist nicht meldepflichtig, die Erkrankung an AIDS wird aber mittels Initialen, Geschlecht und Geburtsdatum ans Ministerium gemeldet. „Für die Betroffenen macht die Einstufung, aus der sich rechtliche Konsequenzen ergeben, einen großen Unterschied. Es ist daher problematisch, dass jemand, der einmal als "an AIDS erkrankt" eingestuft wurde, nicht mehr auf den Status "HIV-positiv" rückgestuft werden kann", erklärt Schlitz.
Diskriminierung im Alltag
Unterschiede bestehen z.B. im Arbeitsrecht. Eine HIV-Infektion stellt in Österreich keinen Grund dafür dar, eine Arbeit (mit Ausnahme der Prostitution) nicht ausführen zu dürfen, und eine Infektion mit HIV muss anders als eine Erkrankung an AIDS bei einer Bewerbung nicht offengelegt werden. „Dennoch fragen viele Unternehmen im Rahmen der Bewerbung nach einer HIV-Infektion oder verlangen einen HIV-Test. Häufig wird den AIDS-Hilfen Österreichs auch davon berichtet, dass HIV-positive Menschen gekündigt werden, sobald ihr HIV-Status bekannt wird. Selbstverständlich wird dabei aber nicht die HIV-Infektion als Grund angegeben", sagt DSA Maritta Teufl-Bruckbauer, Leiterin der Aidshilfe Salzburg.
Häufig beginnt die Diskriminierung schon lange vor dem Eintritt ins Berufsleben, in Kindergarten, Schule oder Hort. Teufl-Bruckbauer: „In den Landesgesetzen ist meist klar zwischen HIV-Infektion und AIDS-Erkrankung unterschieden. In einigen Bundesländern ist einem Kind der Besuch z.B. des Kindergartens auch untersagt, wenn eine im gleichen Haushalt lebende Person an einer ansteckenden Krankheit leidet." Auch andere öffentliche Einrichtungen, wie z.B. Schwimmbäder oder öffentliche Verkehrsmittel, dürfen an AIDS erkrankte Menschen von Rechts wegen nicht benützen.
Besonders hart trifft viele Betroffene die Diskriminierung im medizinisch-pflegerischen Bereich. „Immer wieder passiert es, dass Menschen mit HIV/AIDS abgewiesen werden, obwohl Behandlung, Betreuung und Pflege HIV-infizierter und AIDS-kranker PatientInnen kein Infektionsrisiko für ÄrztInnen und betreuendes Personal darstellen, wenn alle routinemäßigen Schutzmaßnahmen eingehalten werden", betont Teufl-Bruckbauer. Auch Versicherungsunternehmen, die das Recht haben, nach dem HIV-Status zu fragen, schließen Betroffene häufig generell von ihren Angeboten aus.
Rechtliche Diskriminierung
Ein HIV-infizierter Mensch kann sich durch Sexualkontakte mit nicht HIV-infizierten Personen strafbar machen. Und zwar dann, wenn er/sie vorsätzlich bzw. fahrlässig eine Handlung begeht, die geeignet ist, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren, zumindest beschränkt meldepflichtigen Krankheit unter Menschen herbeizuführen. Von 2002 bis 2006 wurden in Österreich 24 HIV-infizierte Menschen nach den entsprechenden Paragraphen verurteilt, bei sieben dieser Urteile wurde explizit geschützter Geschlechtsverkehr als strafbare Handlung angesehen. Schlitz: „Ein entsprechendes juristisches Gutachten aus dem Jahr 2002 kommt allerdings zu dem Schluss, dass sich HIV-infizierte Personen, die sich an die Safer Sex-Regeln halten, nicht strafbar machen, da sie sich an die von maßgeblichen Stellen aufgestellten Verhaltensnormen und somit sozial adäquat verhalten."
Auch im Zivilrecht findet sich ein Paragraph, der die weitere Stigmatisierung Betroffener fördert. Gemäß Ehegesetz kann ein/e Ehegatte/in die Scheidung begehren, wenn der bzw. die andere an einer schweren ansteckenden oder ekelerregenden Krankheit leidet. HIV/AIDS wird damit – im Unterschied zu anderen schweren Erkrankungen – zum Scheidungsgrund.
Die AIDS-Hilfen Österreichs sehen es als eine ihrer Aufgaben, gegen die Diskriminierung von Menschen mit HIV/AIDS zu wirken. Aus diesem Grund wird in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift PlusMinus (4/08) ein entsprechender Bericht veröffentlicht und eine Kampagne unter dem Titel "POSITIV LEBEN OHNE UNTERSCHIED" gestartet. Für die Unterstützung der Kampagne danken die AIDS-Hilfen Österreichs MSD Austria. Die Forderungen der AIDS-Hilfen Österreichs finden Sie nachfolgend zusammengefasst.
- Die AIDS-Hilfen Österreichs fordern, um weitere Diskriminierungen von Menschen mit HIV/AIDS im Arbeitsleben zu verhindern, soll sich Österreich den Forderungen der ILO (= International Labour Organisation = IAO = Internationale Arbeitsorganisation, Genf) anschließen und dementsprechende Gesetze für den Arbeitsbereich erlassen bzw. die Missachtung vorhandener Gesetze unter Strafe stellen.
- Die AIDS-Hilfen Österreichs fordern, um weitere Diskriminierungen von Menschen mit HIV/AIDS im medizinischen und pflegerischen Bereich zu vermeiden, den Themenbereich HIV/AIDS als Standard in die Ausbildung von MedizinerInnen und Pflegepersonal zu übernehmen. Das Bewusstsein, dass Menschen mit HIV/AIDS unter den standardisierten medizinischen und hygienischen Bedingungen kein Risiko darstellen, muss deutlich verankert und umgesetzt werden.
- Die AIDS-Hilfen Österreichs fordern, um weitere Diskriminierungen von Menschen mit HIV/AIDS bzw. deren Familienangehörigen zu verhindern, den Themenbereich HIV/AIDS als Standard in die Ausbildung von MitarbeiterInnen des öffentlichen Dienstes aufzunehmen. Dasselbe gilt für die MitarbeiterInnen anderer Öffentlicher Dienstleister, wie Kindergärten, Horteinrichtungen, Schulen, öffentliche Verkehrsmittel und Schwimmbäder. Das Bewusstsein der Öffentlichkeit gegenüber der Thematik HIV/AIDS muss kontinuierlich verstärkt werden.
In der Hotellerie, privaten Einrichtungen und Dienstleistungsbetrieben Tätige, sollen dazu angehalten werden, sich an allgemeinen Gleichbehandlungsrichtlinien zu orientieren.
Generell fordern die AIDS-Hilfen Österreichs den Erlass eines bundesweiten Antidiskriminierungsgesetzes, das auch ein Verbot der Diskriminierung aufgrund von HIV/AIDS mit einschließt, bzw. bestehende Gleichbehandlungsgebote in dem Sinne zu erweitern.
- Die Aids-Hilfen Österreichs fordern, um weitere Diskriminierungen von Menschen mit HIV/AIDS zu verhindern, in Anbetracht der kontinuierlichen Entwicklung und des heutigen medizinischen Standes die Meldepflicht einer AIDS-Erkrankung laut § 2 des AIDS-Gesetzes grundsätzlich zu diskutieren.
- Die AIDS-Hilfen Österreichs fordern, um weitere Diskriminierungen von Menschen mit HIV/AIDS, Hepatitis oder anderen (zumindest teilweise) meldepflichtigen, ansteckenden Krankheiten zu verhindern, die Streichung der §§ 178, 179 StGB bzw. zumindest deren Einschränkung auf eine konkrete (tatsächliche) Gefährdung. Weiterhin muss gesetzlich klargestellt werden, dass die Befolgung von gesundheitspolitischen Verhaltensempfehlungen (z.B. Safer Sex-Regeln) nicht tatsbestandsmäßig ist.
- Die AIDS-Hilfen Österreichs fordern, um weitere Diskriminierungen von Menschen mit HIV/AIDS zu verhindern, die Streichung des § 52 Ehegesetz. Weiters wird gefordert, dass auch zukünftige Lebenspartnerschaftsgesetze keine Abschnitte enthalten, aus denen sich eine Diskriminierung von Menschen mit HIV/AIDS ableiten lässt.
- Die AIDS-Hilfen Österreichs fordern, um weitere Diskriminierungen von Menschen mit HIV/AIDS zu verhindern, die Versicherungsunternehmen dazu auf, ihre Versicherungsbedingungen der medizinischen Situation anzupassen. In Anbetracht der heutigen Therapiemöglichkeiten ist HIV/AIDS mittlerweile als chronische Krankheit zu betrachten. Ein Ausschluss von Lebens- und Zusatzversicherungen ist daher nicht gerechtfertigt.
1) Die genauen Paragraphen finden Sie in den Abstracts der einzelnen ReferentInnen.
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